Dienstag, 2. Februar 2010

Das vernachlässigte Talent

Seit dem 2. Oktober 2009 präsentiert Sat.1 Freitagabends um 22:20 die Oliver Pocher Show. In 45 Minuten netto bietet die Sendung alle klassischen Late Night Elemente: eine Auftrittstreppe, eine sechsköpfige Showband, einen Sidekick namens „Die Babies“ und meist zwei prominente Gäste pro Sendung. Das Ganze angerichtet in einem alten Kino, das zum Studio umgebaut wurde, und durchmischt mit eingespielten Beiträgen. Nicht wirklich neu – aber trotzdem gut?

Keine Frage, eine Late Night steht und fällt mit der Persönlichkeit des Gastgebers. Bis jetzt sind in Deutschland wesentlich ältere Talker erfolgreich, nämlich Harald Schmidt (+21 Jahre) und Stefan Raab (+12 Jahre). Doch auch Pocher ist mit seinen 31 Jahren längst kein Newcomer mehr. Seit über fünfzehn Jahren steht er auf der Bühne, zwölf davon im Fernsehen. Sein Talent dafür ist unbestritten: seine Schlagfertigkeit, seine unverfrorenen Tabuverletzungen und seine Art, Menschen vorzuführen. Doch um eine Late Night zu stemmen, reicht Talent allein nicht aus. Jetzt ist Pocher nicht mehr nur der Stand-up-Comedian, der nach ein paar Gags die Bühne verlassen kann. Jetzt ist er der Gastgeber, der eine Haltung braucht und einen Spannungsbogen in die Sendung tragen muss. Und das gelingt ihm – frei heraus gesagt – nicht im Ansatz.


Was in den ersten Sendungen noch zum Teil glückt, ist jetzt ganz weg. Die Sendung wirkt nicht rund, es gibt viele Anfänge und keinen Abschluss, viel Improvisiertes und keine zusammenhängende Planung zwischen Oliver, seinem Team und der Sat.1 Redaktion. So rutscht die Sendung weiter ab und wird bald ihre Endlichkeit erreichen. Aber was genau läuft schief? Schauen wir uns das am Beispiel der letzten Folge vom 29.01.2010 einmal genauer an.

Im Pre Show Act „Stand up“ wird Stargast Bushido vorgestellt. Pochers Weischenberg-Parodie „Sylvia Constanze von Weischenhirn“ befummelt Bushido beim Interview so lange, bis dieser entnervt das Handtuch wirft und geht. Während des kompletten Sketches ist der Zuschauer hin- und hergerissen: Wird er Zeuge einer brillanten Performance, die Bushidos Machotum aufdeckt? Oder ist die Idee eher zufällig entstanden und nervt sowohl Bushido als auch den Zuschauer? Genauso bei der Figur Sylvia Constanze von Weischenheim, auch hier schwankt man zwischen „ganz gut getroffen“ und „platt“ – und bleibt bei „platt“ hängen. Die Krise der deutschen Comedy mit ihren albernen, lebensfernen Gags ist deutlich zu spüren.

Die Gesamtdramaturgie der Sendung ist auf zwei Stränge angelegt: Strang A mit dem Erwartungsvakuum auf Bushido und Strang B mit dem Erwartungsvakuum auf „Pochers Next Supermodel“. Aber ein Vakuum macht nur dann Sinn (und kann nur dann Quote bringen), wenn es im Anschluss mit Inhalt gefüllt wird. Leider kommen die Gäste jedoch nicht in Fahrt. Wo in der Pilotfolge zwischen Oli und Shakira noch die Funken flogen, bleiben mittlerweile alle weit unter ihrem Potenzial. Weder Gespräche noch Spiele bringen Story und Größe in die Sendung, so dass selbst der vermeintliche Quotengarant Bushido untergeht. Das kann auch die 5-minütige filmische Parodie auf Bushidos Leben, in der Pocher aus BUSHIDO frech EDUSHO macht, nicht verhindern. Denn obgleich die Grundidee gut ist, bleibt die schwammig-ironische Umsetzung fad. Bushidos Geschichte wirklich zu erzählen, hätte hier mehr Tiefe und Quote gebracht.

Der zweite Gast ist Rolf Scheider, ehemaliges Jurymitglied von Germany’s Next Topmodel und Topmodel-Runner-up Anni Wendler. Gemeinsam mit Bushido fungieren sie als Jury wenn sich am Ende der Sendung weibliche Studiogäste zwischen 18 und 28 Jahren auf dem Laufsteg präsentieren. Da alle realistisch betrachtet null Chancen auf eine Modelkarriere haben, entstehen beim Zuschauer sehr ambivalente Gefühle. Pocher führt diese „Opfer-Mädchen“ bewusst vor und bringt sie in eine Situation, in die kein Zuschauer jemals kommen möchte. Ein gutes Beispiel für die mangelnde Metaphorik und unklare Wertehaltung der Sendung. Da stellt sich die Frage, warum sich ein offensichtlich talentierter Moderator, der früh Erfolge feiern durfte, einfach nicht weiter entwickelt?

Die „Ihr hasst mich alle, aber das ist mir egal, frech kommt weiter“ -Haltung, kann bei einem 18-jährigen charmant sein. Von einem 31-jährigen, der bald Vater wird, erwarten wir mehr, als nur den Mut, in den Ring zu steigen. Wir erwarten, dass er Stellung bezieht, eine klare Meinung hat, Werte vertritt. Und es gibt Momente, da traut sich Oli, was sich sonst keiner traut. Er schmeißt sein Leben voll mit in die Show-Waagschale. Nimmt seinen Vater Gerhard Pocher als Sidekick mit in die Sendung, ebenso wie seine schwangere Lebensgefährtin Sandy Meyer-Wölden. Zeigt: Das sind meine liebsten Menschen, das ist meine Familie. Doch diese Figuren werden nicht feingeschliffen, das Gute daran wird nicht festgehalten und ausgebaut. Und so spürt der Zuschauer in jeder Minute: Da tobt ein Einzelkämpfer, der besonders motiviert ist, wenn andere ihn für seine Unverfrorenheiten hassen.

Mal kurz zu den Zahlen: Natürlich lief die Sendung auch nicht gut. Der Marktanteil in der Zielgruppe 14-49 Jahre lag bei 9,2%, was einer Reichweite von etwa 950.000 Zuschauern entspricht. Insgesamt kommt die Oliver Pocher Show seit Beginn auf einen Marktanteil von 8,9% - mit fallender Tendenz. Und das heißt: Es kann nicht alles beim Alten bleiben.

Pocher muss aufhören, wie ein traumatisierter Talentling in einer mittlerweile eh fast tabufreien Welt herumzufrecheln. Früher Erfolg und frühkindliche Bibelmissionsaufgaben sind keine Entschuldigung, für immer stehen zu bleiben. Wenn Oliver Pocher innerhalb der Branche erwachsen werden will, muss er das jetzt tun. Viele Fans würden es ihm gönnen, sein Talent weiterzuentwickeln. Über den Status des Stand-Up-Quickies hinaus kluge Ideen, Gedanken und Emotionen auszuleben und seine Zuschauer zu inspirieren. Doch der erste Schritt muss von ihm kommen. Also entweder: Ärmel hoch, Albernheit weg und intelligente Comedy mit Menschlichkeit paaren. Oder: Gute Nacht, Peter Oliver Pan.

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